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Zwei Jahre am Tisch mit den Grossmächten: So hat sich die Schweiz in New York geschlagen

Seit Januar 2023 war die Schweiz Mitglied im UNO-Sicherheitsrat. In einer von geopolitischen Spannungen und Kriegen gezeichneten Phase erhält ihre Arbeit dort vielerorts gute Noten. Die SVP sieht das Renommee der Schweiz jedoch beschädigt.

Am Silvesterabend endet die zweijährige Mitgliedschaft der Schweiz im UNO-Sicherheitsrat – und damit das bislang wohl ambitionierteste Projekt der Schweiz auf multilateraler Ebene.

Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hat 15 Mitglieder, die fünf ständigen Mitglieder USA, Russland, China, Frankreich und Grossbritannien haben ein Vetorecht. Er ist das wichtigste Gremium der Weltpolitik. Entsprechend stark im Scheinwerferlicht der internationalen Diplomatie stand die Schweiz seit Januar 2023.

Die nackten Zahlen sind eindrücklich: An über 800 Sitzungen nahmen die Schweizer Vertreterinnen und Vertreter teil. Zweimal, im Mai 2023 und im Oktober 2024, hatte die Schweiz das Ratspräsidium inne. 22 Mal nahmen Mitglieder des Bundesrats in New York persönlich an den Sitzungen des Sicherheitsrats teil beziehungsweise präsidierten diese. Insgesamt stimmte die Schweiz über 102 Resolutionen respektive Resolutionsentwürfe ab (Stand: Ende November).

«Turbulenteste und schmerzhafteste Zeit»

Das Aussendepartement EDA will Anfang 2025 Bilanz ziehen zur Mitwirkung im Sicherheitsrat und danach eine politische Einordnung zuhanden von Bundesrat und Parlament erarbeiten.

Klar ist schon jetzt: Die zweijährige Mitgliedschaft ging ohne grössere Zwischenfälle über die Bühne. Mediale und politische Aufmerksamkeit hierzulande erhielten lediglich zwei Entscheidungen in New York:Die Zustimmung der Schweiz in der UNO-Generalversammlung im Oktober 2023 zu einer Resolution für einen Waffenstillstand im Gaza-Streifen aus der Feder Jordaniens, die keine Verurteilung des Hamas-Terrors enthielt. Und die Stimmenthaltung im Sicherheitsrat im April 2024 zur Anerkennung Palästinas als vollwertiges UNO-Mitglied.

Die zweijährige Mitgliedschaft im Sicherheitsrat fiel in eine geopolitisch höchst anspruchsvolle Zeit. Einerseits ging der im Februar 2022 gestartete russische Angriffskrieg in der Ukraine unvermindert weiter. Andererseits fielen in diese Zeit auch der Terrorangriff der Hamas gegen Israel und die darauffolgenden kriegerischen Auseinandersetzungen im Gaza-Streifen und im Libanon. Ebenso der Bürgerkrieg im Sudan, der eine der grössten humanitären Krisen der Weltgeschichte ausgelöst hat.

In keinem dieser Konflikte war der Sicherheitsrat wirklich handlungsfähig. So legten Russland, die USA und China ihr Veto gegen Resolutionen zum Nahostkonflikt ein, Russland auch gegen Sudan-Resolutionen. Und Ukraine-Resolutionen wurden angesichts des vorhersehbaren russischen Vetos gar nicht erst eingebracht.

Der Sicherheitsrat sei leider nicht die Bühne, auf der komplexe Weltprobleme gelöst werden könnten, sagt Richard Gowan gegenüber CH Media. Der gebürtige Brite beobachtet die Arbeit der UNO im Auftrag der Denkfabrik International Crisis Group seit langem. Dies hänge auch mit der Verachtung zusammen, die Veto-Mächte wie Russland und die USA dem Gremium entgegenbrächten: «Das ist zutiefst frustrierend.»

Rundum gute Noten erhält Pascale Baeriswyl, Schweizer Botschafterin bei der UNO in New York, für ihre Arbeit im Sicherheitsrat. (New York, 2. Oktober 2024)
Bild: AP

Die Schweiz habe zu Beginn ihrer Arbeit im Sicherheitsrat ihre hohen Erwartungen etwas korrigieren müssen, sich jedoch rasch den Gegebenheiten angepasst, so Gowan. In der «turbulentesten, schmerzhaftesten» Zeit für den Sicherheitsrat seit dem Ende des Kalten Kriegs hätten sich die Schweizer Diplomaten «sehr professionell» verhalten. Die Schweiz habe sich trotz des schwierigen Umfelds nie gescheut, freiwillig zusätzliche Aufgaben zu übernehmen, sagt er und erwähnt Sicherheitsratsvorstösse zu Syrien und Nordkorea.

Besonderes Lob findet Gowan für Pascale Baeriswyl, die Schweizer UNO-Botschafterin. Sie sei «eine höchst kompetente, ausserordentlich gut vernetzte Diplomatin». Das sagen auch Vertreter anderer Staaten und ausländische Journalisten bei der UNO.

«Wir können UNO!»

Innenpolitisch gab die Mitgliedschaft im UNO-Sicherheitsrat im Vorfeld vor allem unter neutralitätspolitischen Gesichtspunkten zu reden.Im März 2022 warnte der damalige SVP-Nationalrat Roger Köppel im Parlamentvor dem Ende der Neutralität und einem «unkalkulierbaren Risiko», das die Schweiz mit einer Mitgliedschaft im Sicherheitsrat eingehe.

Nun hat die Schweizer Politik in den letzten zwei Jahren oft und kontrovers über die Neutralität diskutiert. Aber: Die Mitgliedschaft im Sicherheitsrat spielte dabei kaum eine Rolle. Gestritten wurde über den Umgang mit Sanktionen, die Weitergabe von Rüstungsgütern oder die Bürgenstock-Konferenz ohne russische Beteiligung.

Für GLP-Ständerätin und Aussenpolitikerin Tiana Angelina Moser (ZH) zeigt sich: «Das Mitwirken im Sicherheitsrat ist mit unserer Neutralitätspolitik vereinbar, die Sorgen der Gegner haben sich nicht bewahrheitet.» Die Schweiz habe sich in New York an ihren bewährten und langjährigen aussenpolitischen Grundsätzen orientiert. «Und meiner Ansicht nach konnte sie trotz eines enorm schwierigen Umfelds durchaus einige Erfolge verzeichnen und punktuell zur Stärkung der humanitären Hilfe, zum Schutz der Zivilbevölkerung und zur Achtung des humanitären Völkerrechts beitragen», so Moser.

Auch SP-Nationalrat Fabian Molina (ZH) hat keine neutralitätspolitischen Konflikte aufgrund der Mitgliedschaft registriert. Das sei wenig überraschend: «Die Schweiz ist weiss Gott nicht das erste neutrale Land, das im Sicherheitsrat sitzt.» Molina zieht trotz Kritik an einigen Weisungen der EDA-Zentrale unter FDP-Aussenminister Ignazio Cassis an die Mission in New York, etwa zur Stimmenthaltung bei der Anerkennung Palästinas, ein insgesamt positives Fazit. Nicht zuletzt dank des hervorragenden Teams der Schweiz vor Ort habe die Schweiz bewiesen: «Wir können UNO!»

Gemäss dem langjährigen UNO-Beobachter Richard Gowan in New York habe eigentlich nur Russland versucht, den Sicherheitsrat zum Schauplatz einer Schweizer Neutralitätsdebatte zu machen. Russlands Diplomaten hätten regelmässig gegen die Schweiz gestichelt, auch weil sie wohl der Meinung gewesen seien, dass das Land in diesem Punkt angreifbar ist. Funktioniert habe dies nicht.

«Eine Fussnote der Geschichte»

Kritischer fällt die Analyse von SVP-Nationalrat Franz Grüter (LU) aus: «Die Schweiz musste im Sicherheitsrat immer wieder Entscheide treffen, welche sie als neutralen Kleinstaat in eine schwierige Situation gebracht haben», sagt Grüter und nennt als Beispiele Resolutionen zum Gaza-Konflikt.

Das aussenpolitische Renommee des Landes habe in den letzten zwei Jahren abgenommen, ist er überzeugt. Das sei aber nicht nur aufgrund der Mitgliedschaft im Sicherheitsrat der Fall. Die Schweiz sei nicht mehr als neutrale Vermittlerin gefragt, weil sie von der strikten Neutralität abgewichen sei und zu oft wertend und verurteilend auftrete. Grüter wünscht sich eine Rückbesinnung auf «Zurückhaltung und Neutralität in der Aussenpolitik». Auch wenn das Team in New York professionell gearbeitet habe, ist Grüter überzeugt: «Die Mitgliedschaft im Sicherheitsrat wird eine Fussnote der Geschichte bleiben.»

Nationalrat Laurent Wehrli (FDP/VD) sieht hingegen nachhaltige Effekte: «Die Anerkennung und der Respekt für die Schweiz innerhalb der UNO sind grösser geworden.» Das zeige sich etwa bei den hochrangigen UNO-Posten, für die Schweizer Diplomaten jüngst gewählt wurden oder zur Diskussion stünden. Auch seien die durch die Mitgliedschaft entstandenen hochrangigen Kontakte, nicht zuletzt der Bundesratsmitglieder, von nicht zu unterschätzendem Wert.

1945: Mit der Ratifizierung der an einer Konferenz in San Francisco ausgehandelten UNO-Charta durch eine Mehrheit der 51 Gründungsmitglieder ist die United Nations Organization (Vereinte Nationen) am 24. Oktober 1945 geboren.

1946:Die Schweiz erhält als erster Staat den Status eines Nicht-Mitglieds mit ständigem Beobachterstatus. Diesen sollte sie bis zum UNO-Beitritt im Jahr 2002 behalten.

1953:Auf Bitte der UNO entsendet die Schweiz im Rahmen der «Neutralen Überwachungskommission für den Waffenstillstand in Korea» (NNSC) 146 Armeeangehörige an die innerkoreanische Demarkationslinie. Bis heute üben 5 unbewaffnete Armeeangehörige dort im Rahmen der ältesten friedensfördernden Mission mit Schweizer Beteiligung ihren Dienst aus.

1986:Der Bundesrat strebt seit Ende der 1970er-Jahre einen Beitritt der Schweiz zur UNO an und erhält im Dezember 1984 die Zustimmung von National- und Ständerat. Am 16. März 1986 erteilt die Stimmbevölkerung diesen Plänen mit 75,1 Prozent Nein-Stimmen bei einer Nein-Mehrheit in allen Ständen eine deutliche Abfuhr.

1990:Nach dem Überfall des Iraks unter Saddam Hussein auf das Nachbarland Kuwait beschliesst der Bundesrat am 7. August 1990 erstmals, Sanktionen des UNO-Sicherheitsrats vollständig zu übernehmen. Davor hatte die Schweiz UNO-Sanktionen nicht oder nur teilweise übernommen. Dieses Abseitsstehen der Schweiz hatte insbesondere im Fall des südafrikanischen Apartheid-Regimes international sowie innenpolitisch für Kritik gesorgt.

2002:Am 3. März 2002 nehmen 54,6 Prozent der Stimmenden und 12 Stände die Volksinitiative für einen UNO-Beitritt bei einer hohen Stimmbeteiligung von 57,6 Prozent an. Am 10. September 2002 wird die Schweiz als 190. Staat Mitglied der UNO. Sie ist das einzige Land, dessen Beitritt in einer Volksabstimmung beschlossen wurde.

2010:Am 11. Juni 2010 wählt die UNO-Generalversammlung den früheren Wirtschafts- und Aussenminister Joseph Deiss (CVP) für eine einjährige Amtsperiode zu ihrem Vorsitzenden. Es ist das formal bislang höchste Amt innerhalb der UNO, das ein Schweizer Staatsangehöriger innehatte.

2011:Am 12. Januar 2011 teilt der Bundesrat offiziell mit, dass die Schweiz für die Jahre 2023/24 für einen nicht ständigen Sitz der Regionalgruppe der westeuropäischen und anderen Staaten (WEOG) im UNO-Sicherheitsrat kandidiert.

2022:Am 9. Juni 2022 wird die Schweiz von der UNO-Generalversammlung mit 187 von 190 Stimmen als nicht ständiges Mitglied des UNO-Sicherheitsrats gewählt.

2023:Ab 1. Januar 2023 gehört die Schweiz dem UNO-Sicherheitsrat an. Am 3. Mai leitet mit Aussenminister Ignazio Cassis (FDP) erstmals ein Schweizer Regierungsmitglied eine Sitzung des UNO-Sicherheitsrats.(cbe)