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Pestizide und Nachhaltigkeit – kann dies funktionieren ? Ein Besuch bei Syngenta in Stein

Wie kann die Landwirtschaft nachhaltiger werden? Der Agrochemiekonzern Syngenta hat eine Antwort: die Digitalisierung. Gleichzeitig versucht das Unternehmen kritische Berichterstattung zu hinterfragen – mit einer umstrittenen Website. 

Bei Syngenta in Stein im Fricktal sieht es aus wie in einer Grossgärtnerei. In zahlreichen Gewächshäusern reihen sich Pflanzen an Pflanzen, die meisten jung und klein wie Setzlinge. Doch gesund sind sie nicht. Die Pflanzen sind infiziert mit Pilzen, wie sie auf Feldern der Landwirte aus aller Welt vorkommen, an die Syngenta seine Fungizide, Pestizide, Herbizide verkauft. Hier, in den Gewächshäusern am Forschungsstandort im Aargau, testet der Konzern die Wirksamkeit neuer Pflanzenschutzmittel.

Im Rahmen der Fricktaler Werkstattgespräche hat die Firma an diesem Dienstagabend die Türen für die Öffentlichkeit geöffnet. Syngenta-Schweiz-Chef Roman Mazzotta führt Besucherinnen und Besucher in weissen Kitteln durch die Gewächshäuser und erklärt, wie Pflanzenschutzmittel funktionieren. Wie sie getestet werden. Und warum sie aus Sicht von Syngenta notwendig sind.

Die Weltbevölkerung wachse und wachse und brauche mehr Nahrung, sagt Mazzotta etwa. Gleichzeitig sei die Ackerlandfläche begrenzt. «Um eine nachhaltige Ernährung sicherstellen zu können, brauchen wir eine Landwirtschaft, die die Bodengesundheit fördert und wiederherstellt, das Klima, Wasserressourcen und Biodiversität schützt und die Produktivität und Rentabilität der landwirtschaftlichen Betriebe garantiert. Dazu gehört auch die optimierte und datengestützte Präzisionsanwendung von Saatgut, Pflanzschutz und Düngemitteln.»

Die Probleme, die Pestizide verursachen, werden hingegen ausgeblendet. Gemäss WWF sind Pestizide unter anderem verantwortlich für den Rückgang von Brutvogelarten um 40 Prozent in den vergangenen dreissig Jahren. Zahlreiche Studien belegen ausserdem: Insektizide sorgen für einen europaweit starken Rückgang von Bienen, Schmetterlingen oder Käfern. Und auch der Mensch ist betroffen: Abbauprodukte des Stoffes Chlorothalonil etwa gelten als krebserregend – und wurden 2019 in deutlich zu hoher Konzentration im Trinkwasser nachgewiesen.

Der Forschungsstandort der Syngenta in Stein. 
Bild: PD

Rettet die Digitalisierung die Landwirtschaft?

In der anschliessenden Podiumsdiskussion werden die Voten etwas kritischer. Auf der Bühne diskutieren Elisabeth Fischer, Leiterin Nachhaltigkeitsstrategie bei Syngenta, Bernard Lehmann, Ex-Direktor des Bundesamtes für Landwirtschaft und heutiger Präsident im wissenschaftlichen Beirat des UNO-Ernährungskomitees, und Olaf Deiniger, Chefredaktor der deutschen Agrar-Medien. Die Frage, die im Raum schwebt: Ist die Digitalisierung der Schlüssel zu einer nachhaltigeren Landwirtschaft?

Ja, lautet die kurze Antwort. Die Technologie werde es richten, so der Tenor. Deininger, der Chefredaktor, nennt etwa eine mit Kameras bestückte Landmaschine als Beispiel. Die Maschine fährt über ein Feld und spritzt ihre Pestizide nur da, wo auch Unkraut wächst, statt dass ein Feld grossflächig besprüht wird. «So können 60 bis 70 Prozent der Pflanzenschutzmittel eingespart werden.»

Olaf Deininger, Elisabeth Fischer, Moderator Reto Brennwald und Bernard Lehmann (von links nach rechts) diskutieren angeregt. 
Bild: Mathias Förster

Auch Syngenta-Nachhaltigkeitsstrategin Fischer bringt ein Beispiel: «Durchs Sammeln von Daten haben wir erkannt, dass Bauern ihre Obstbäume teils wöchentlich spritzen. Muss das wirklich sein?» Mit Erkenntnissen aus Big Data könnten die Pestizide zum richtigen Zeitpunkt ausgebracht und so sparsamer eingesetzt werden, so Fischer.

Nachhaltigkeit hat auch eine soziale Seite

Kritische Aspekte bringt vor allem Ex-Bundesamtsdirektor Lehmann ein. Nachhaltigkeit habe nicht nur einen ökologischen oder ökonomischen Aspekt, sondern auch einen sozialen. Früher hätten die Bauern in armen Ländern Afrikas Frauen aus der Region zum Jäten angestellt. Heute erledige dies das Pestizid, etwa von Syngenta. «Das Geld, mit dem der Landwirt seine Angestellten bezahlt hat, fliesst nun ab in den reichen Norden», so Lehmann. Und überhaupt, fragt er, «welchen Zugang zu Technologie haben arme Bauern in Afrika überhaupt, die schon heute kaum Landwirtschaftsmaschinen haben?»

Für Chefredaktor Deininger ist klar: Ärmere Regionen in Afrika könnten die fossile Landwirtschaft, wie sie heute existiert, gleich überspringen und in eine nachhaltige Landwirtschaft übergehen. «Ich sehe nicht ein, warum dies nicht möglich sein sollte?» Syngenta-Nachhaltigkeitsstrategin Fischer sieht in einer Plattform-Wirtschaft grosses Potenzial. Nicht der Landwirt selbst, sondern externe Firmen würden die Pestizide ausbringen, so ihre Vision. «Es braucht ein ganzes Ökosystem an Dienstleistern. Und dieses muss technologiegetrieben sein.»

Syngenta verspricht Nachhaltigkeit – NGOs hinterfragen Versprechen

Klar ist: Pflanzenschutzmittel sind wichtig für Syngenta. 2022 erzielte der Konzern mit 16,3 Milliarden US-Dollar die Hälfte seines Umsatzes mit Pestiziden. Der Geschäftszweig wuchs mit 21 Prozent am stärksten. Klar ist auch: Syngenta verspricht mehr Nachhaltigkeit. Seit 2013 verfolgt das Unternehmen seinen sogenannten Good Growth Plan (Plan für gutes Wachstum) und will eine CO2-freie Landwirtschaft fördern. Bis 2025 will der Konzern zu diesem Zweck zwei Milliarden US-Dollar investieren.

Nichtregierungsorganisationen wie Public Eye hinterfragen diese Pläne. Syngenta bekenne sich nicht zum Ziel der Pestizidreduktion und wolle seine umstrittensten Produkte weiter verkaufen. So exportiere das Unternehmen 10’000 Tonnen von Pestiziden, die fürs Bienensterben verantwortlich gemacht werden, in Schwellen- und Drittweltländer wie Brasilien, Ghana oder Indonesien. In der Schweiz und der EU ist der Einsatz des Stoffs verboten.

Zuletzt berichtete SRF, Syngenta und der deutsche Konzern Bayer hätten jahrelang Pestizid-Studien zurückgehalten. Solche Berichte kritisiert das Basler Unternehmen: Einerseits klar ausgewiesen auf der eigenen Website, andererseits unter swiss-food.ch. Der Auftritt wirkt unabhängig, der Seitenkopf verweist auf die «forschende Industrie». Die Urheber der Seite, Syngenta und Bayer, treten erst am Ende der Seite und im Impressum mit Namen auf.

Swiss-Food wolle als Wissensplattform im Bereich Landwirtschaft und Ernährung einen Diskussionsbeitrag leisten, schreibt Syngenta- Mediensprecher Beat Werder auf Anfrage. «Die Website spiegelt die Optik der forschenden Industrie, leistet einen Beitrag zu einer sachlicheren Diskussion und spricht Zielkonflikte offen an.» Die Website wird seit 2019 von einem Redaktionsteam aus Firmenvertretern von Syngenta und Bayer betrieben.