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Der Sanierungsbedarf in der Region ist gross – und müsste noch viel grösser sein 

In der Region wird viel saniert. Stephan Wullschleger, Strengelbacher Dachdeckermeister und Präsident der Aargauer Sektion des ­Verbands «Gebäudehülle Schweiz» äussert sich zum Thema und beklagt den Fachkräftemangel.

«Wir sind sehr stark im Renovationsbereich tätig und dort ist Arbeit in Hülle und Fülle vorhanden», sagt Stephan Wull­schleger. Für den 52-jährigen Dachdeckermeister aus Strengelbach und Präsidenten der Aargauer Sektion des Verbands «Gebäudehülle Schweiz» ist die hohe Renovationstätigkeit erfreulich. «Natürlich haben die stark gestiegenen Energiepreise zahlreiche Liegenschaftsbesitzer veranlasst, in eine bessere Dämmung und Isolierung ihrer Liegenschaften zu investieren», sagt Wullschleger.

Doch das ist nicht die ganze Wahrheit. Denn viele Liegenschaften sind in die Jahre gekommen. Trotz der nach wie vor hohen Bautätigkeit beträgt das Durchschnittsalter der Schweizer Häuser und Wohnkomplexe rund 45 Jahre. Eine Forschungsstudie der Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt (EMPA) aus dem Jahr 2021 hat aufgezeigt, dass die Mehrheit der rund 1,8 Mio. Gebäude mit Wohnnutzung in der Schweiz zwischen 1949 und 1994 erbaut wurde und 77 Prozent dieser Gebäude immer noch mit fossilen Brennstoffen (Öl und Gas) oder elektrisch beheizt werden. «Hier liegt sicher ein gewaltiges Sanierungspotential für die Haustechnik- und Gebäude­hülle-Branchen», betont Wullschleger, gerade auch, wenn man die Energieziele des Bundes erreichen wolle.

Stephan Wullschleger in der Werkstatt vor einer Schwenkbiegemaschine für Bleche.
Bild: Thomas Fürst

Gebäude brauchen 40 Prozent der Energie

Denn die Gebäude brauchen viel Energie. Fakt ist: Gebäude sind für rund 40 Prozent des Schweizer Energieverbrauchs verantwortlich, rund eine Million Häuser in der Schweiz sind kaum oder gar nicht gedämmt und damit dringend sanierungsbedürftig. Doch die Sanierungsquote verharrt seit Jahren bei einem Prozent. Anders ausgedrückt: Es würde rund 100 Jahre dauern, bis diese Gebäude saniert wären. Für die Erreichung der Klimaziele 2050 müsste die jährliche Sanierungsquote etwa verdreifacht werden.

Vordringlich ist für Wull­schleger vor allem die Sanierung oder der Ersatz von Bauten aus den 1960er- und 1970er-Jahren. Damals sei angesichts des rekordtiefen Preises von Heizöl bezüglich Dämmung und Isolierung, aber auch bei der Verwendung kritischer Stoffe wie Asbest äusserst sorglos gebaut worden. «Der grösste Sanierungsbedarf besteht sicherlich bei Gebäuden aus dieser Epoche, die dringend energetisch saniert werden müssten», sagt Wullschleger.

Dabei gelte es, eine Sanierung von Liegenschaften vorausschauend und strukturiert zu planen, betont der Strengel­bacher Dachdeckermeister. Wullschleger rät dazu, die Sanierung von Liegenschaften in sinnvolle Pakete einzuteilen. Es mache zum Beispiel wenig Sinn, eine Heizung zu sanieren, ohne vorher die Gebäudehülle anzuschauen. «Ich kenne einige Beispiele, bei denen eine Heizung kleiner hätte dimensioniert werden können, wenn man vorher die Gebäudehülle ausreichend gedämmt und auch an einen Fensterersatz gedacht hätte».

Ganz besonders sinnvoll findet Wullschleger auch Dachsanierungen in Verbindung mit der Installation einer Solaranlage. «Wenn möglich sollte dabei die Installation einer In-Dach-­Solaranlage in Betracht gezogen werden», meint er. Diese hätten gegenüber von Auf-Dach-Solaranlagen wesentliche Vorteile. Zum Beispiel? «Die Kabel der Anlage sind bei einer In-Dach-­Anlage gegen Marder geschützt und diese Lösung ermöglicht auch einen guten Zugang zur wasserführenden Schicht», betont er. Auf ein weiteres Problem bei der Installation einer Auf-­Dach-Solaranlage macht der Verband Gebäudehülle Schweiz aufmerksam. Die Unterkonstruktionen sind oft nicht auf zusätzliche Lasten ausgelegt. Und sollte es im Unterland trotz Klimaerwärmung wieder einmal zu richtigem Schneefall kommen, so befürchtet der Verband gröbere Schäden, die schnell einmal in Millionen-Höhe liegen könnten, wie Wullschleger ausführt.

Sanierungsstau in der Region?

Die Sanierungsquote von Liegenschaften beträgt in der Schweiz wie bereits erwähnt etwa ein Prozent. Wie viel wird in der Region investiert? Es scheine ihm, sagt Wullschleger, dass in der Region mehr saniert werde als in anderen Regionen der Schweiz. «Bei der öffentlichen Hand habe ich allerdings den Eindruck, dass dort noch vermehrt Nachholbedarf besteht». Wullschlegers Beobachtungen decken sich mit den provisorischen Resultaten aus der Baustatistik des Bundesamts für Statistik (BFS) zu den Bauinvestitionen im Jahr 2022. Im Vergleich zum Vorjahr sind diese um nominal 1,8 Prozent gestiegen. Besonders zugenommen hätten dabei die privaten Umbauinvestitionen, hält das BFS ergänzend fest. Während die Umbauinvestitionen bei privaten Auftraggebern 2022 um 7,2 Prozent anstiegen, gaben öffentliche Auftraggeber wie Bund, Kantone und Gemeinde für Umbauten 0,1 Prozent weniger aus als im Vorjahr.

Für den Politiker in Stephan Wullschleger sind diese Zahlen einsichtig. «Von den kantonalen Richtplänen her wird unserer Region auch ein Wachstum zugesprochen», betont der Strengelbacher Gemeindeammann. Sei das Wachstum eher gross, müssten die Gemeinden primär ihre Infrastruktur, zum Beispiel Schulbauten, anpassen. Dass es dann vielleicht zu einem kleineren oder grösseren Sanierungsstau kommen könne, sei verständlich. «Der Steuerfranken kann halt auch nur einmal ausgegeben werden», sagt er. Und es sei ganz allgemein schwierig, in einer Gemeinde ein gesundes Wachstum zu etablieren.

Nach wie vor ein grosses Thema ist und bleibt der Fachkräftemangel, betont Wullschleger. Illustrieren lässt sich das Problem etwa anhand der Photovoltaik-­Branche. Laut Bundesamt für Energie besetzen die in der Branche arbeitenden Personen rund 5500 Vollzeitstellen. Bis 2030 sollten es aber mindestens 12000 Vollzeitstellen sein, damit der geplante Ausbau der Solarenergie auch gelingen kann.

Nicht besser sieht es im Bauhauptgewerbe aus. Laut einer Studie, die der Schweizerische Baumeisterverband in Auftrag gegeben hat, fehlen 2040 rund 5600 Fachkräfte – jede sechste Stelle wärde damit unbesetzt. «Wir brauchen auch in Zukunft qualifizierte Arbeitskräfte», sagt Wullschleger, denn gerade handwerkliche Berufe würden viele Perspektiven bieten. Jetzt und in Zukunft noch viel mehr.