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Was lief schief beim Haarebleichen? Zweite Verhandlung brachte Entscheid

Eine Coiffeuse hatte sich vor dem Bezirksgericht Brugg zu verantworten. Vorgeworfen wurde ihr fahrlässige Körperverletzung, da eine Kundin von ihr eine Verätzung der Kopfhaut erlitt.

Vorgeworfen wurde der Inhaberin eines Coiffeursalons fahrlässige Körperverletzung, nachdem es bei einer Kundin beim Aufhellen der Haare zu einer Verätzung der Kopfhaut und einer bleibenden kahlen Stelle am Hinterkopf gekommen war. Die Kundin hatte Klage erhoben. «Von mir aus gesehen habe ich nichts falsch gemacht», hatte die Beschuldigte im Frühjahr vor dem Bezirksgericht Brugg gegenüber Gerichtspräsident Sandro Rossi erklärt.

Die Staatsanwaltschaft vertrat die Ansicht, dass die Verletzung bei pflichtgemässem Handeln der Beschuldigten vermeidbar gewesen wäre, und beantragte eine bedingte Geldstrafe von 120 Tagessätzen zu je 40 Franken sowie eine Busse von 950 Franken. Die Verhandlung war dann unterbrochen worden, weil die Beschuldigte von ihrem Recht auf amtliche Verteidigung Gebrauch machte. Kürzlich trafen sich die beiden Parteien zu einer zweiten Verhandlung.

«Beschuldigte hat leider nicht sofort reagiert»

Der Vertreter der Zivil- und Strafklägerin machte geltend, dass die Verätzung auf einen zu langen Kontakt des Bleichmittels mit der Kopfhaut zurückzuführen sei. Die Beschuldigte – die während des Einwirkens des Mittels einem anderen Kunden die Haare schnitt – habe zu spät auf die Äusserungen der Kundin reagiert, welche sich über ein zunehmendes Jucken und Brennen der Kopfhaut beschwerte. «Es ist unklar, wie lange die Bedienung dieses Kunden dauerte», so der Anwalt. «Sicher 25 bis 30 Minuten. Wenn man von 25 Minuten ausgeht, auf jeden Fall zu lange. Die Beschuldigte hat leider nicht sofort reagiert. Hätte sie das getan, wären wir heute nicht hier.»

Die Verhandlung am Bezirksgericht Brugg war im Frühjahr unterbrochen worden. Kürzlich kam es nun zu einer zweiten Verhandlung.
Bild: Sandra Ardizzone

Er stellte auch in Abrede, dass das Bleichmittel mit der Kopfhaut in Kontakt gekommen sei, weil die Kundin die Haare und damit die Alufolie hochhob, nachdem sie ein Brennen verspürte. Das Bleichmittel müsse bereits beim Auftragen auf die Kopfhaut gelangt sein. Der Beschuldigten müsse pflichtwidrige Unvorsicht vorgeworfen werden, weil sie das Mittel unsachgemäss aufgetragen habe. Ein weiterer fataler Fehler sei das späte Auswaschen des Mittels gewesen.

Der Vertreter der Klägerin beantragte Schuldspruch im Sinne der Anklage, eine angemessene Geldstrafe und Busse, alles unter Kosten- und Entschädigungsfolge, sowie eine Genugtuungssumme von 3000 Franken samt Zins. Eine Zivilforderung sei auf den Zivilweg zu verweisen.

Die Coiffeuse hat das Verfahren schon oft angewendet

Der Verteidiger der Coiffeuse beantragte Freispruch. Auf die Zivilforderung sei nicht einzutreten, allenfalls sei sie auf den Zivilweg zu verweisen. Die Kosten seien auf die Staatskasse zu nehmen. «Meine Mandantin hat das Verfahren zigfach angewendet – so, wie man es ihr in der Lehre beigebracht hat», betonte er. Die Staatsanwaltschaft mache denn auch nicht geltend, dass das Auftragen falsch erfolgt oder beim Auftragen ein Fehler gemacht worden sei.

Eine erste Kontrolle durch die Beschuldigte habe nichts Ausserordentliches ergeben. Ein Auswaschen des Mittels beim ersten Auftreten der Wärmewirkung sei nicht angezeigt gewesen. «Ein Gutachten hält fest, dass es nicht möglich ist, abzuschätzen, ob bei einem früheren Auswaschen ein Schaden kleiner gewesen wäre», so der Verteidiger. «So oder so hat sich meine Mandantin keiner Pflichtverletzung schuldig gemacht. Wenn beim Haarebleichen ein derart hohes Risiko bestehen würde, wie hier geltend gemacht wird, müssten Coiffeusen eine medizinische Ausbildung haben.»

Wahrheitsfindung ist nicht möglich

Das Gericht folgte den Anträgen der Verteidigung. Die Beschuldigte wurde freigesprochen.

Bei der Gegenüberstellung von Tathypothesen gelangte das Gericht zum Schluss, dass keine Hypothese derart erhärtet werden kann, dass sie dem wirklich Erlebten entspricht und somit wahr ist. Folglich sei die Beschuldigte in Anwendung des Grundsatzes «in dubio pro reo» von Schuld und Strafe freizusprechen.