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«Noch einmal 100 Jahre leben ist wohl fast etwas viel»

Seit 1961 lebt Marthe Imhof in Murgenthal, obwohl die Jubilarin eigentlich nicht in das «Kaff» ziehen wollte.

Umringt von ihrer Familie nahm Marthe Imhof am Montag die Glückwünsche der Gemeinde und des Kantons zu ihrem 100. Geburtstag, den sie am Sonntag feiern konnte, entgegen. Zu den üppigen Blumensträussen und Glückwunschschreiben erhielt die Jubilarin von der Gemeinde Murgenthal einen Gutschein für die Fusspflege. Die Freude an dem Geschenk zeigte, dass die Gemeinde – vertreten durch Gemeindeammann Max Schärer und Gemeinderätin Brigitte Odermatt – beim Auslesen des Geschenkes das richtige Händchen hatte.

In Murgenthal lebt Marthe Imhof seit 1961. Dass sie über 60 Jahre in dem Dorf bleibt, hätte sie bei ihrem ersten Besuch wohl nicht gedacht. Gemeinsam mit ihrem Mann Kurt kam sie nach Murgenthal, da in einem Uhrmachermagazin ein Lokal zur Miete ausgeschrieben war. «Mein Mann wollte sich selbständig machen und wir dachten, dass wir uns das Lokal anschauen wollten.» Weder das Dorf noch das ausgeschriebene Lokal hinterliess einen guten Eindruck bei den beiden. «Mein Mann sagte: ‹Gell, hier ziehen wir nicht hin?› und ich sagte: ‹In das Kaff komme ich sicher nicht›», erklärt die Jubilarin und lacht. Fündig wurden sie aber beim ehemaligen Kino Rex, am Ende des Dorfes. Dort war auch ein Lokal, inklusive Wohnung, ausgeschrieben. «1961 zogen wir dahin und betrieben gemeinsam einen Uhren-, Schmuck- und Bijouterieladen bis 1988.»

Die Murgenthaler mieden ihren Laden

Während ihr Mann die Uhren reparierte, verkaufte die gelernte Verkäuferin die Waren. Kunden seien vor allem von auswärts gekommen, Murgenthaler hätten sich kaum im Laden blicken lassen. Und falls doch, wie etwa ein damaliger Gemeindeammann, der immer pünktlich am 24. Dezember für seine Frau ein Geschenk kaufen kam, mussten sie die Vorhänge ziehen und die Auswahl im Hinterzimmer zeigen. «Damit ja niemand sieht, dass er in einer Bijouterie einkauft», so Imhof.

Ihren Beruf erlernte sie in Bern bei der Firma Rüfenacht und übte ihn dann bei der Leinenweberei in der Nähe des Bahnhofes aus. In die Umgebung von Bern kam sie, als sie als kleines Mädchen verdingt wurde. Geboren wurde Marthe Imhof in Frankreich. Da ihre Mutter bei der Geburt verstarb, kam sie gemeinsam mit den beiden älteren Schwestern in ein Waisenhaus. Der Vater kehrte in die Schweiz zurück, um zu arbeiten. «Dann wurden wir in die Schweiz gebracht und verdingt. Angeblich weil für uns niemand Geld an das Waisenhaus bezahlte, wie uns gesagt wurde.» Sie, die zu einem Ehepaar kam und ihre älteste Schwester, die zu einem Bauern kam, hätten es gut getroffen. Lediglich die mittlere Schwester, die bei einer Witwe unterkam, habe es schlecht getroffen.

Meine Eltern drohten mir spasseshalber schon mit dem Jungfernhäubchen, wenn ich nicht endlich aufhören würde, nur auf meine Schuhe zu schauen.

Marthe Imhof

feierte am Sonntag ihren 100. Geburtstag

Ihren Mann, der lettische Wurzeln hatte und in Zürich lebte, lernte sie im Berner Kursaal beim Tanzen kennen. «Als ich endlich einmal gehen durfte weiss ich noch, wie ich meinen Vater fragte, wann ich zu Hause sein muss. Als er sagte: <Du wirst ja wohl wissen, wann ein anständiges Mädchen zu Hause zu sein hat>, und ich ihm dann antwortetet: <Das spielt keine Rolle; ich kann ja um 10 Uhr unanständig, oder um 2 Uhr anständig nach Hause kommen>, wusste er nicht mehr, was er sagen soll», erzählt Marthe Imhof und lacht. Scheu sei sie gewesen als junge Frau – «ein richtiges Totschli halt» – und habe immerzu nur auf ihre Schuhe geschaut. «Meine Eltern drohten mir spasseshalber schon mit dem Jungfernhäubchen, wenn ich nicht endlich aufhören würde, nur auf meine Schuhe zu schauen.»

An dem Abend, als sie ihren Kurt kennenlernte – irgendwann 1951 –, war sie mit einer Cousine unterwegs. Mit ihren blonden Haaren fiel diese einem Freund von Kurt auf. «Kurt und sein Freund kannten sich durch einen Englischkurs. Kurts Freund war aus dem Iran und getraute sich nicht, meine Cousine anzusprechen – wohl, weil er etwas fremd aussah.» Also schickte er Kurt los, um die beiden jungen Frauen anzusprechen. Während Kurts iranischer Freund mit Marthes Cousine tanzte, tanzte Kurt mit Marthe. «Ich weiss noch genau, wie es am nächsten Morgen an der Türe klingelte. Meine Mutter öffnete und vor ihr stand Kurt. Zum Gruss hob er den Hut vom Kopf und fragte, ob er mich ausführen darf.»

Im Juni 2021 zog sie in das Alterszentrum Moosmatt

Geheiratet haben die beiden schliesslich 1954. Zwei Jahre später kam Sohn Erik auf die Welt, der heute mit seiner Familie in dem Haus lebt, in welches Kurt und Marthe Imhof 1988 nach der Aufgabe ihres Ladens in Murgenthal zogen.

Seit Juni 2021 lebt Marthe Imhof nun im Murgenthaler Alterszentrum Moosmatt. Früher ging sie in das Alterszentrum, um mit den Bewohnern Spiele zu spielen, damit denen die Zeit etwas vergeht. Für das institutionseigene Informationsblättchen «Der Moosmatter» trieb sie zudem Inserate auf. «Nun wohne ich selbst da», sagt sie und lacht. Für das Alterszentrum hat sie nur gute Worte übrig: «Ich habe eine schöne Wohnung, es gibt gutes Essen und die Pflege ist hervorragend.» Als sich die Gratulanten mit einem «bis zum nächsten Jahr» verabschiedeten, antwortete Marthe Imhof: «Mal sehen. Eines weiss ich aber: Noch einmal 100 Jahre leben ist wohl fast etwas viel.»

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